Digitale Produkte entwerfen – Teil 2

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Von der Theorie zur Praxis

Im ersten Teil haben Sie die Theorie hinter den 3 Sichtweisen kennengelernt. Damit Sie das Konzept besser nachvollziehen können, stellen wir Ihnen in diesem Teil die Unternehmenssicht, die Zielgruppensicht und im dritten Teil die Produktsicht an einem praktisches Beispiel vor.

Anhand des fiktiven Beispiel Unternehmens “Ferrum” lassen sich die drei Sichtweisen praxisnah zum Leben erwecken. Das Unternehmen lässt sich wie folgt skizzieren:

Ferrum ist ein mittelständisches Unternehmen, dessen Produktpalette hauptsächlich Elektrozubehör wie Schalterserien, Unterputzelemente und Ähnliches umfasst. Seit Jahren verzeichnet Ferrum sinkende Umsätze. Diesen Umstand führt die Unternehmensführung darauf zurück, dass viele Mitbewerber:innen ihre Produkte nicht nur im stationären Handel, sondern auch online anbieten. Um einem Preiskampf aus dem Weg zu gehen, hat sich Ferrum dazu entschlossen, in die digitale Welt einzusteigen und den Markt für Smart Home Produkte zu erobern.

Die Unternehmenssicht

Das Unternehmen Ferrum startet damit, ein Ziel für ein Smart Home-Produkt zu definieren. Dieses Ziel wird mit der Unternehmensstrategie in Verbindung gebracht, um sicher zu stellen, dass das Ziel auch auf die Strategie einzahlt.

Das Ziel

Das Produktportfolio ist um ein Smart Home Device erweitert. Das Device ist sowohl für Immobilien-Besitzer:innen als auch für Mieter:innen gleichermaßen geeignet. Das neue Produkt ist in den Premium-Partner-Baumärkten verfügbar und erzielt insgesamt (stationär und online) einen Umsatzanteil im zweistelligen Bereich.

Strategische Eignung

Langfristig will Ferrum als Unternehmen das Produktportfolio digitalisieren. In der Digital-Agenda 2026 beschreiben Ferrum den Weg, auf dem es den Anteil der digitalen Produkte im Portfolio auf 70 % steigert. Dieses Objective ist der erste Schritt zur Erfüllung der Agenda.

Das Ziel ist nun definiert und mit der Unternehmensstrategie verknüpft. Am Ende will das Unternehmen natürlich wissen: “Wurde das Ziel erreicht oder nicht?” Dazu müssen Erfolgsfaktoren definiert werden. Sind diese erfüllt, ist auch das Ziel erreicht. Die Messpunkte bei Ferrum lauten:

Messpunkt 1: Smart Home Device ist im Verkauf

  1. Es wird in den Premium-Partner-Baumärkten angeboten
  2. Der Onlineshop bietet das Device an

Messpunkt 2: Umsatzanteil liegt mindestens im zweistelligen Bereich

  1. Stufe 1: Umsatzanteil mindestens 10 %
  2. Stufe 2: Umsatzanteil mindestens 15 %
  3. Stufe 3: Umsatzanteil größer 20 %

Aus Sicht des Unternehmens ist das Ziel damit klar beschrieben, ohne dass eine Lösung vorweggenommen wurde. Darin spiegelt sich auch ein Stück Unternehmenskultur wieder: Das Schaffen von Rahmenbedingungen, in denen sich alle Beteiligten so frei wie möglich bewegen können, um die optimalen Lösungen zu schaffen.

Die Zielgruppensicht

Im nächsten Schritt wird das Produkt aus Sicht der Zielgruppe betrachtet. Bei Ferrum ist noch nicht klar, welche Art von Smart Home Device entwickelt werden soll. In einem Design Sprint wird die Entscheidung getroffen, dass die Produktpalette um ein smartes Heizungsthermostat erweitert werden soll. Neben dieser Entscheidung resultiert aus dem Design Sprint zudem eine Initiative, die als Ziel hat, möglichst schnell mit einem sinnvollen Featureset für die Zielgruppe in den Markt einzutreten.

Da das Smart Home Device neben der Steuerungssoftware auch aus Hardwarekomponenten besteht, ist es in diesem Kontext wichtig, dass die Hardware das komplette Featureset liefert. Einige Komfortfunktionen der Software hingegen, sollen über Updates nachgeliefert werden.

Die Initiative hat somit auch ein klar formuliertes Ziel:

Das Thermostat kann ohne Werkzeug an jeden handelsüblichen Heizkörper montiert und in fünf einfachen Schritten eingerichtet werden. Über die App können Zeitpläne, Abwesenheitsfunktion und eine Kindersicherung eingerichtet werden. Zur schnellen Temperaturänderung können wahlweise die App oder die Hardwaretasten des Thermostats verwendet werden.

Zusätzlich zur Beschreibung der Ziele werden auch Erfolgsfaktoren definiert, die das Ziel messbar machen:

Bewertungen der App:
In den App-Stores wird die App “gut” bis “sehr gut” bewertet

  • Nur 4- und 5-Sterne-Bewertungen
  • Keine 3- Sterne-Bewertungen oder schlechter

Einfache Installation und Einrichtung:
Wenige Supportanfragen bezüglich Installation und Einrichtung

  • Nur 5 % Supportanfragen für installierte Geräte
  • Nur 10 % Supportanfragen für die Einrichtung

Bevor bei Ferrum das Thema Customer Journey gestartet werden kann, werden in einem nächsten Schritt fiktive Stellvertreter:innen aus der Zielgruppe, so genannte Personas, herausgearbeitet. Als Beispiel wird die Persona “Ricarda” entwickelt:

Ricarda ist Studentin, ledig und 32 Jahre alt. Sie ist sehr wissbegierig, geht aufmerksam durchs Leben und hat neben ihrem Studium viele zusätzliche Termine. Ricarda zeichnet sich durch ein Faible für moderne technische Geräte aus und eignet sich Wissen schnell online an. Es ist ihr wichtig, flexibel zu bleiben und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Sie ist sehr strukturiert und liebt es – trotz Technik und anderer digitaler Produkte – mit Zettel und Stift zu arbeiten.

Ansicht einer Persona mit fiktiven Bild, demografische Angaben, Charaktereigenschaften, Interessen, Hobbies und den 4 wichtigsten Bedürfnissen an das Produkt.
Fiktive Person erzeugen
Charaktereigenschaften
Top 4 Erwartungen an das Produkt
Hobbies und Interessen

Beispiel einer Persona aus dem enbl.it-Baukasten. Klicken Sie auf die Hotspots, für weitere Informationen.

Nun hat Ferrum alles beisammen, um mit den Customer Journeys zu starten. Da eine Customer Journey immer genau ein Problem oder eine Herausforderung adressieren soll, hilft ein Problem Statement den Fokus zu wahren.

Ein Problem Statement ist eine präzise Beschreibung eines fehlenden Features oder eines Umstands, den es zu verbessern gilt. Damit identifiziert man den Unterschied zwischen dem aktuellen Status und dem gewünschten Status eines Produkts oder Systems. Der erste Schritt zur Lösung eines Problems ist das Verstehen des Problems. Das Problem Statement wird in einem Satz, bestehend aus 5 Kernelementen, beschrieben.

Ricarda hat folgende Herausforderung: Sie ist unregelmäßig zu Hause und vergisst häufig, die Heizungen abzudrehen, wenn sie die Wohnung verlässt. Diese Herausforderung wird in einem Problem Statement formuliert. Das Problem Statement von Ricarda hat als zentrales Element die Heizkosten im Fokus. Die Customer Journey, die dafür entwickelt wird, will eine Lösung für ihr Problem finden.

Ricarda wohnt nun schon seit längerer Zeit in ihrer Wohnung. Da sie studiert, hat sie noch keinen geregelten Tagesablauf. Sehr häufig vergisst sie, die Heizung runterzuregeln, wenn sie ihre Wohnung verlässt. Für ihre Heizkörper hat sie die smarten Heizungsthermostate von Ferrum gekauft. Nun möchte sie einstellen, dass die Heizung automatisch reguliert wird, wenn sie die Wohnung verlässt. Sie öffnet die dazugehörige App und klickt auf Automation. Hier kann sie die Abwesenheitsfunktion aktivieren. Sie gibt die Komfort- und die Absenktemperatur ein und speichert ihre Einstellungen. Daraufhin werden zwei Regeln angelegt, die aktiv werden, wenn sie den Umkreis ihrer Wohnung verlässt bzw. betritt. Nun werden sämtliche Heizungen heruntergeregelt, wenn sie den Umkreis ihrer Wohnung von 100 m verlässt und wieder hochgeregelt, wenn sie den Umkreis wieder betritt.

Die Erstellung von Mockups und Klick-Prototypen bietet sich an, um die Customer Journey für die Zielgruppe noch greifbarer und erlebbar zu machen. Hierbei wird eine mögliche Lösung skizziert und der Blick auf das Produkt nochmals vereinfacht.

Es sind 7 Smartphone Mock-Ups nebeneinander zu sehen, die die Bedienung der App für das beschriebene Produkt visualisieren. MockUps sind hilfreich bei m Verständnis des Produkts und der Ziele der Unternehmenssicht und der Zielgruppensicht.
Beispiel eines Mock-ups in enbl.it

Wie geht es jetzt weiter?

Nun sind wir schon am Ende des zweiten Teils angelangt. Sie haben in diesem Teil gelernt, wie Sie die Unternehmenssicht und die Zielgruppensicht gestalten können. Im nächsten und letzten Teil wenden wir uns der Produktsicht zu und schauen, wie wir die Anforderungen aus der Customer Journey erfassen.